Hier auf dem Blog war’s lange Zeit recht ruhig…ich hatte die Freude und die Ehre als Verkoster und Autor am neuen Gault&Millau mitzuarbeiten. Das bedeutete seit Anfang Juni Tag für Tag einen Wein nach dem anderen aufreißen, verkosten, bewerten, drüber schreiben. Da hatte ich keine weiteren Weinkapazitäten. Und nach der letzten G&M-Flasche erfreute ich mich erstmal an bayerischen Bieren.

In zwei Wochen erscheint nun das Buch und ich habe allmählich wieder Lust auf Wein. Gestern stieg ich in den Keller um mal zu schauen, was dort für den Blog noch rumsteht. Als erstes schnappte ich mir eine Flasche Rotwein aus der Pfalz. Ganz banal weil mir der Name so gefiel: „Weingut am Nil“

Vor vielen Jahren lebte ich mal für ein halbes Jahr in Kairo, in Ägypten. Der Nil war nur ein paar Straßen von meiner Wohnung entfernt. Oft stand ich abends an seinen schmutzigen Fluten, schaute den Partybooten nach, die mit bunten, blinkenden Lichtern behangen unter ohrenbetäubender Popmusik hin und her gondelten.

Das Weingut liegt in Kallstadt. „Nil“ ist eine historische Einzellage, die heutzutage Teil des berühmten „Saumagen“ ist. Aber da das Weingut recht neu ist und die PR-Agenturen pfiffig sind, heißt es seit der Übernahme durch Ana und Reinfried Pohl nicht weiter „Weingut Schuster“.

Der Wein heißt Púrpura und soll Bordeaux auf Pfälzisch sein. „Wenn nicht in der Pfalz, wo sonst kann man in Deutschland Cabernet Franc, Merlot und Cabernet Sauvignon kultivieren?“, fragt Betriebsleiter Johannes Häge. Als er vor knapp zehn Jahren in den damals neuen Betrieb einstieg, pflanzte er Cabernet in den wärmsten Lagen auf Kies- und Sandböden. 2016 sollte dann der erste Jahrgang des Púrpura werden. Der Herbst war lang und warm, die Trauben konnten wunderbar ausreifen. Zum Reifen kam der Wein in Barriques.

Vor dem Trinken würde ich ihn auf jeden Fall in die Karaffe geben. Das habe ich gestern Abend nicht getan, und wenn ich ihn jetzt, 18 Stunden später nochmal probiere, bedauere ich das. Erschien er mir zu Beginn etwas zu wuchtig, dunkelbeerig und gefällig, überrascht er mich jetzt mit deutlich mehr Frische, Würze und Eukalyptusnoten. Kein abgefahrener Stoff, aber ein exzellenter, geschmeidiger Rotwein, der viele Liebhaber finden und manche, etwas unbedarfte Weinfreunde, sogar begeistern wird.

Was der Wein kann: Frucht, Würze und Säure sind perfekt ausbalanciert, da stört nichts, da eckt nichts an.

Was dem Wein fehlt: Der Überraschungsmoment, der Wow-Effekt, der mich dazu bringt, die Flasche auslecken zu wollen. Für meinen persönlichen Geschmack wird ein bisschen zu sehr auf Sicherheit gespielt, fehlen ein bisschen Grip und Haptik am Gaumen.

Written by web222

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